Mehrfache Anwendungen für das Malvern MicroCal Auto-iTC200 in einem fragmentbasierten Wirkstoffforschungsprogramm

In dieser Application Note wird der Einsatz des Malvern MicroCal Auto-iTC200 zur Identifizierung und Optimierung potenzieller Leitsubstanzen in einer frühen Phase der Wirkstoffforschung beschrieben.

Einführung

Diese Arbeit beschreibt den Ansatz der fragmentbasierten Wirkstoffforschung (FBDD) für die Identifizierung und Optimierung von Leitsubstanzen, die die Aktivität von Phosphatidylinositol-3-Kinase (Vps34) hemmen. Diese Kinase spielt nachweislich eine wichtige Rolle bei der Resistenz gegen Krebstherapeutika (1, 2). Vps34 ist von zentraler Bedeutung für die Autophagieaktivierung. Es wurde daher als Ziel für die therapeutische Intervention definiert. Die Autophagie oder Autophagozytose ist ein kataboler Prozess. Er umfasst den Abbau von Zellbestandteilen durch lysosomale Prozesse und gilt als wichtiger Mechanismus der Karzinogenese.

Das MicroCal Auto-iTC200 spielte bei diesem Programm eine zentrale Rolle. Dies beruhte vor allem auf den wenigen Schritten, die für die Präparation von Zielproteinen erforderlich waren und auf der Einfachheit des Assay-Designs. Die Daten des MicroCal Auto-iTC200 wurden dazu verwendet, um Hits aus einem Thermal-Shift-basierten primären Screening zu validieren und um die Affinitäten des Fragments genau zu klassifizieren. Somit wurden nur die stärksten Binder in die Kokristallisationsversuche und das strukturbasierte Wirkstoffforschungsprogramm übernommen. Die Fähigkeit dieses Ansatzes, erfolgreich Hits vorherzusagen, die Kokristallkomplexe mit dem Ziel bilden würden, wurde bestätigt: 12 der 14 mittels ITC (Isotherme Titrationskalorimetrie) ausgewählten Proteinkomplexe wurden erfolgreich kristallisiert. Das Gerät wurde auch zur Bewertung des Erfolgs nachfolgender Optimierungsschritte innerhalb des strukturbasierten Medizinalchemie-Programms eingesetzt.

Abb. 1. Überblick über den Workflow des FBDD-Programms. Eine Fragment-Bibliothek wurde mit einem Thermal-Shift-Assay untersucht. Die resultierenden Fragment-Hits wurden mit den MicroCal Auto-iTC200 validiert. Die thermische Stabilität des Zielproteins und die stabilisierenden Effekte der Hits wurden mit dem MicroCal VP-Capillary DSC analysiert und validiert. Die mittels ITC bestätigten Hits wurden kokristallisiert. Ein Optimierungszyklus, bestehend aus Medizinalchemie, Hitcharakterisierung mit dem MicroCal Auto-iTC200 und Kokristallisation, ergab eine Gruppe chemischer Substanzreihen. Mittels DSC wurden die Stabilität des Zielproteins charakterisiert und die Thermal-Shift-Daten teilweise validiert.
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Materialien und Methoden

Die Proteine und Fragmente wurden von Sprint Bioscience (Stockholm, Schweden) bereitgestellt. Die Geräte MicroCal Auto-iTC200 und MicroCal VP-Capillary DSC werden von Malvern Instruments angeboten. Alle Experimente wurden bei 25 °C durchgeführt.

Die Probenzelle des MicroCal Auto-iTC200 wurde mit 20 mM TRIS (pH 7,5), 300 mM NaCl, 10 % Glycerin, 0,5 mM TCEP und 2 % oder 5 % DMSO befüllt. Die als schwache Binder erachteten Fragmente (KD > 10 µM) wurden mit einer Konzentration von 4 mM in eine Proteinkonzentration von 50 µM injiziert. Die stärkeren Binder wurden mit einer Konzentration von 200 µM in eine Proteinkonzentration von 20 µM injiziert. Das Injektionsvolumen betrug jeweils 3 µl für 12 Injektionen, bei einer Injektionszeit von 6 s und einer Verzögerungszeit von 150 s zwischen den einzelnen Injektionen. Die Dauer eines einzelnen Experiments betrug insgesamt ca. 20 Minuten. Der Molekülmassenbereich der Fragmente umfasste 149 bis 333 Da. Mit dem MicroCal VP-Capillary DSC wurde die thermische Stabilität des Zielproteins im Assay-Puffer bewertet - in Abwesenheit und in Gegenwart einer Auswahl von Fragmenten. In den DSC-Diagrammen betrug die Proteinkonzentration 0,2 mg/ml und die Fragmentkonzentration 1 mM. Die Durchlaufrate betrug 60 K/h.

Das primäre Screening

Eine Bibliothek von ca. 500 Fragmenten wurde gegenüber Vps34 nach einem Thermal-Shift-Ansatz getestet. Dabei wurde das Protein in Abwesenheit und in Gegenwart der einzelnen Fragmente bei einer Konzentration von 1 mM erhitzt. Der Prozess der Proteindenaturierung wurde mittels Differential-Scanning-Fluorimetrie (DSF) überwacht. Auf diese Weise sollten Binder gefunden werden, die erfolgreich kokristallisiert werden können, um für den Prozess der Leitsubstanzgenerierung und -optimierung strukturelle Informationen zu gewinnen.

Das MicroCal Auto-iTC200 war für dieses Projekt besonders gut geeignet. Bei Versuchen zur Entwicklung eines Bindungsassays, der eine Proteinimmobilisierung erforderte, traten nämlich Probleme mit Proteininstabilitäten auf. Die ITC wurde vor allem deswegen als Verfahren zur Hitvalidierung ausgewählt, weil sie nur sehr wenige vorbereitende Schritte erfordert, wodurch das Risiko einer Proteindegradation reduziert wurde. Mit dem MicroCal AutoiTC200 konnten die Analysen einfach, schnell und in viskosen, Glycerin enthaltenden Puffern durchgeführt werden. Bei der grundlegenden Charakterisierung der Proteinstabilität mit dem MicroCal VP-Capillary DSC traten kleine Probleme mit der thermischen Stabilität zutage (Tm =50 °C im Assay-Puffer mit 4 % DMSO). Die DSC bestätigte die stabilisierenden Effekte der beiden Fragment-Hits aus dem Thermal-Shift-Assay. Eines der im Zuge dieser Arbeit identifizierten Fragmente wurde mittels ITC als Binder bestätigt und erzeugte eine Kokristallstruktur. Im DSF-Experiment ergab sich jedoch eine negative Verschiebung. Bei der weiteren Charakterisierung dieses Fragments wurde festgestellt, dass es im DSC-Test das Zielprotein stabilisierte. Dies verweist auf die Bedeutung der Thermostabilitätsassays als orthogonale Methode und auf die Möglichkeit, Binder auch unter Fragmenten zu identifizieren, die im primären DSF-Screening eine negative Verschiebung ergaben.

Die Nachverfolgung der Hits aus dem primären Screening wurde in Dosis-Wirkungs-Untersuchungen mittels Thermal-Shift-Assays durchgeführt (Abb. 2). Eine Voraussetzung für einen erfolgreichen Thermal-Shift- und ITC-Assay war eine hohe Löslichkeit der Fragmente. Ein Abfall in der Dosis-Wirkungs-Kurve kennzeichnete eine begrenzte Löslichkeit des Hits. Solche Fragmente konnten von weiteren Untersuchungen ausgeschlossen werden. Die Fragmente, für die eine Dosis-Wirkungs-Kurve generiert werden konnte, wurden anschließend in einem sekundären Assay mit dem MicroCal Auto-iTC200 validiert.

Abb. 2. Beispiel einer Dosis-Wirkungs-Kurve für zwei Thermal-Shift-Experimente. Die Tm-Verschiebung wird gegen die Fragmentkonzentration aufgetragen. Das Fragment SB002-41 zeigte aufgrund der begrenzten Löslichkeit einen Abfall der Kurve und wurde daher aus der weiteren Untersuchung ausgeschlossen.
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Hitvalidierung mit MicroCal Auto-iTC200

Das MicroCal Auto-iTC200 war für die Hitvalidierung die Methode der Wahl. Bei diesem Gerät waren für das Protein nämlich nur wenige vorbereitende Schritte erforderlich, wodurch das Risiko einer Proteininaktivierung reduziert wurde.

Isotherme Titrationskalorimeter messen die Wärmemengenänderung, die auftritt, wenn interagierende Moleküle vom freien in den gebundenen Zustand übergehen. Die aus den Messungen resultierende Isotherme wird an ein Bindungsmodell angepasst, um die Werte für die Affinität (KD), die Stöchiometrie (N) und die Enthalpie der Wechselwirkung (ΔH) zu generieren. In dieser Untersuchung wurden die Fragmente anhand der Affinitäten klassifiziert, um die stärkeren Binder zur Kristallisation auszuwählen.

Von den 47 Fragmenten, die aus dem Thermal-Shift-Screening ausgewählt wurden, wiesen 33 gute Bindungswerte auf, die zur Quantifizierung der Affinität dienen konnten. 14 zeigten entweder keine Bindungswärme oder ungewöhnliche Isothermen (Abb. 3). Die Untersuchung der Rohdaten des MicroCal Auto-iTC200 ermöglichte die frühe Identifizierung und Eliminierung von False-Positives unter den mittels Thermal-Shift-Assay generierten Hits. Die 33 Erfolg versprechenden Fragmente wurden nach Affinität klassifiziert. Die 20 stärksten Binder wurden einem erneuten Screening unterzogen, um die Robustheit der Affinitätsbestimmung zu bewerten. Die Daten aus dem ersten und zweiten Screening zeigten eine befriedigende Übereinstimmung (Abb. 4), trotz der Schwäche der Binder und der Tatsache, dass zwei unterschiedliche Chargen des Proteins getestet wurden.

Abb. 3. Beispiel von Fragmenten, die mit dem MicroCal Auto-iTC200 analysiert wurden. Die Diagramme links und in der Mitte zeigen die Rohdaten (obere Felder) und Bindungsisothermen (untere Felder) eines Fragments mit einer Affinität von ca. (A) 0,9 mM und (B) 4 µM. Aus diesen Substanzen wurde der stärkere Binder zur weiteren Untersuchung ausgewählt. Die Daten für das Fragment mit der niedrigen Affinität (A) stellen ein Beispiel für einen Titrationsaufbau mit niedriger C-Zahl dar. Dabei wird ein Protein mit einer Konzentration < KD mit einem hohen Überschuss einer Substanz titriert (3). (C) zeigt die Rohdaten eines Fragments, das aufgrund seiner ungewöhnlichen Isotherme ausgeschlossen wurde. Die Peaks sind breit und kehren vor der nächsten Injektion nicht zur Basislinie zurück. Dies kennzeichnet ein langsames Ereignis - entweder einen langsamen (ligandeninduzierten) Aggregationsprozess oder eine langsame Dissoziation des Liganden. Ursache für das letztere Verhalten könnte eine Aggregation der kleinen Moleküle bei höheren Konzentrationen in der Spritze und eine anschließende Dissoziation bei Verdünnung sein. Es gibt es keinen eindeutigen Hinweis auf eine Bindung und einige Anzeichen für ein ungewöhnliches Verhalten. Dies lässt vermuten, dass es sich um ein False-Positive aus dem primären Screening handelt. (D) zeigt die Rohdaten eines Fragments, das bei den ersten 2 Injektionen ein exothermes Verhalten zeigte, bei den nachfolgenden Injektionen dagegen ein endothermes Verhalten. Dieses komplexe Verhalten könnte durch ein False-Positive verursacht werden. Die Substanz wurde daher aus der weiteren Untersuchung ausgeschlossen.
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Abb. 4. Robustheit der gemessenen Fragment-Affinitäten. Zwei Messungen desselben Proteins werden gegeneinander aufgetragen, um die Reproduzierbarkeit der Affinitätsbestimmungen zu bewerten.
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Auf der Grundlage dieser Daten wurden 14 Fragmente für die Bestimmung der Kokristallstruktur ausgewählt. Davon wurden wiederum 12 erfolgreich kristallisiert (Abb. 5). Dies demonstriert die Zweckmäßigkeit des MicroCal Auto-iTC200 als ein guter Indikator für die erfolgreiche Bestimmung von Protein-Fragment-Kokristallstrukturen und für die Aufnahme von Fragmenten in die weitere chemische Entwicklung.

Abb. 5. Kristallstruktur einer Fragmentbindung an Vps34.
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Leitsubstanzgenerierung

Die 47 Hits, die dem sekundären Screening unterzogen wurden, repräsentierten fünf verschiedene chemische Substanzreihen. Die stärksten Binder aus dem sekundären Screening stammten aus zwei dieser Reihen, die in einem Medizinalchemie-Programm weiter optimiert wurden. Die nächste Iteration der Substanzen enthielt strukturelle Elemente beider Reihen. Mit dem MicroCal Auto-iTC200 wurde die Bindung an das Zielprotein validiert (Abb. 6). Die zweite Generation der Fragmente wies deutlich verbesserte Bindungsaffinitäten zum Zielprotein auf. Dies bestätigt die Anwendbarkeit der ITC als SAR-Assay (Structure-Activity Relationship).

Abb. 6. Beispiel der Rekombination der beiden chemischen Reihen mit den stärkeren Bindern. ITC-Messungen zeigten eine verbesserte Affinität der nächsten Iteration.
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Zusammenfassung

Das MicroCal Auto-iTC200 wurde erfolgreich in den Workflow der Wirkstoffforschung des hier beschriebenen fragmentbasierten Programms integriert. Das Gerät bietet einen hohen Bedienkomfort, da es eine nur minimale Assay-Entwicklung und eine geringe Probenpräparation benötigt. Es unterstützt damit einen optimierten Workflow, der konsistente, zuverlässige Ergebnisse liefert. Es wurde bei der Hitvalidierung von Proteinen, die in anderen orthogonalen Assays eine begrenzte Stabilität zeigten, erfolgreich als sekundäres Screening-Instrument eingesetzt. Die Daten aus dem System ermöglichten die frühe Identifizierung und Eliminierung von False-Positives aus dem primären Screening. Das Verfahren bewährte sich auch als guter Indikator für die erfolgreiche Bestimmung von Protein-Fragment-Kokristallstrukturen.

Zusammenfassend ist die ITC ein SAR-Assay (Structure-Activity Relationship), der KD-Werte liefert. Diese können zur Priorisierung von Fragmentreihen und als Richtwerte für die chemische Entwicklung der nächsten Fragment-Iterationen innerhalb des Wirkstoffforschungsprozesses dienen. Das vollständig automatisierte MicroCal Auto-iTC200 ist für einfache Bedienung und hervorragende Empfindlichkeit ausgelegt. Es ist ein wertvolles Werkzeug für die Durchführung der ITC.

Danksagung

Das Proteinmaterial und die Fragmente sowie die Daten aus den Thermal-Shift-Assays und Röntgenuntersuchungen wurden von Sprint Bioscience freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Sprint Bioscience ist ein Unternehmen im Bereich der Wirkstoffforschung. Es widmet sich dem Aufbau eines Portfolios an innovativen Onkologieprojekten mit dem Schwerpunkt auf Tumormetabolismus. Dank seiner fragmentbasierten Wirkstoffforschungsplattform kann Sprint Bioscience rasch Moleküle identifizieren, deren Eigenschaften für die Arzneimittelentwicklung geeignet sind. Diese Moleküle bilden eine Grundlage für die Wirkstoffforschungsprogramme. In einem iterativen Verfahren, das Proteinforschung, Fragment-Screening, Medizinalchemie, Röntgenstrukturanalyse und relevante biologische Untersuchungen umfasst, modifiziert Sprint Bioscience die Moleküle, um Wirkstoffkandidaten zu generieren, die in den Entwicklungsprozess übernommen werden können. Darüber hinaus bietet Sprint Bioscience Vertragsforschung mit Zugang auf die firmeninterne Wissens- und Technologieplattform an.

Literatur:

1. Funderburk S.F. et al. The Beclin 1-VPS34 complex - at the crossroads of autophagy and beyond. Trends Cell Biol. 20, 355-362 (2010)
2. Yang S. et al. Pancreatic cancers require autophagy for tumor growth. Gene. Dev. 25, 717-729 (2011)
3. Tumbull B.W., Daranas A.H. On the value of c: Can low affinity systems be studied by isothermal titration calorimetry? J. Am. Chem. Soc. 125, 14859-14866 (2003)

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